Schwermer und das Königsberger Marzipan
Mit dem Namen Königsberg i.Pr. sind nicht nur die großen Namen der Könige und die Erinnerungen an die Krönungsfeierlichkeit von König Friedrich I in Preußen verknüpft, nein Königsberg ist und war vor allem für drei große Spezialitäten bekannt. Da sind zuallererst die berühmten Königsberger Klopse, an die jeder denken muss, hört er den Namen Königsberg.
An zweiter Stelle ist da der berühmte Weinkeller „Blutgericht“ im Königsberger Schloss und ganz nahe des Königsberger Schlosses befand sich das Cafe Schwermer, Produzent des berühmten Königsberger Marzipans.
Um die Geschichte des Königsberger Marzipans und des Cafes Schwermer soll es in diesem Text gehen.
Laut Gert O. E. Sattler soll das Marzipan auf Zypern und in Griechenland entstanden sein und über die Bernsteinstraße nach Ostpreußen gekommen sein. Andere Quellen hingegen gehen davon aus, dass das Marzipan, wie wir es kennen aus mediterranen Ländern, dem Iran, oder aus dem tieferen arabischen Raum stammen soll. Auch für Indien ist überliefert, dass es hier eine mit Zuckerrohr vermischte Mandelmasse als Leckerei gegeben haben solle, ob es sich dabei allerdings um eine marzipanähnliche Kreation gehandelt hat bleibt umstritten. Auch der Name Marzipan soll von dem arabischen Wort Manthaban abgeleitet sein. Thomas Mann und Sattler hingegen geben an, dass das Wort auch von „panis Marci“ – Brot des Mars abzuleiten sei und das heute als Genussmittel beliebte Marzipan eigentlich ein Soldatenbrot gewesen sein soll.
Auch reklamierten Lübeck, Toledo sowie Königsberg für sich die eigentliche Urheberschaft am Marzipan. Allen drei Geschichten ist das besondere Paradoxon zueigen, dass findige Spezialisten während einer Belagerung und der damit einhergehenden Hungersnot eine Art „Notbrot“ aus Mandeln erfunden haben wollen. Paradox ist dies besonders, da Mandeln, die Grundmasse für Marzipan zu diesen Zeiten besonders teuer waren und es recht unwahrscheinlich ist, dass aus einem solch teuren und exquisiten Rohstoff ein „Notbrot“ gebacken wurde.
Wie dem auch sei, im Jahre 1894 eröffnete Henry Schwermer in der Münzstraße in Königsberg i. Pr. seine Konditorei und ein kleines Cafe.
Aufgrund des großen Erfolgs baute Schwermer 1911 eine große Terrasse zur Schlossteichpromenade ausgerichtet, an. Damit war das Cafe Schwermer in den letzten Jahren Königsbergs eine feste Institution; die malerische Lage mit Blick auf den Schlossteich, einem Quell der Ruhe in dieser quirligen Stadt, war ein beliebter Treffpunkt der Königsberger.
Wir mögen uns gerne in die Atmosphäre dieses einmaligen Cafes hineinversetzen.
Es ist Sommer, die Sonne spiegelt sich auf dem See, die Gäste sind vor zu viel Sonnenstrahlung durch die leicht im Wind rauschende Linden geschützt. Das Schloss, die Keimzelle Könisgbergs, spiegelt sich mächtig und erhaben im Schlossteich, auf dem Schwäne und Enten ihre Bahnen ziehen.
Vereinzelt sieht man Verliebte in Paddelbooten über den See rudern. Kinder lachen und Vögel singen in den Bäumen. Auf der Terrasse des Cafe Schwermer herrscht Hochbetrieb, ab den 1930er Jahren leistete sich das Cafe 24 Kellner, sowie 2 Jungen die mit Zigaretten herumgingen. Hier trafen sich die Königsberger Bürger, hier unter Sonnensegeln und beim Klang von mondäner Musik; Schwermer leistete sich damals eine eigene Hauskapelle. Dies alles machte jenes Cafe am Schloßteich zu einem überaus beliebten Treffpunkt in Königsberg.
Henry Schwermer starb 1918 und seine 22-jährige Tochter Charlotte übernahm das Geschäft. Im Jahr 1930 pachtete sie zuerst und kaufte im Jahr darauf die „Schloß-Konditorei“ – damit vergrößerte sie die Kapazitäten auf 1000 Sitze, zu jener Zeit leistete sie sich auch die oben erwähnte Kapelle.
Ein Königsberger sagte einmal, dass man im Cafe Schwermer drei Genüsse zu sich nähme; einmal das bekannte Konfekt, die wunderbare Musik und die Aussicht auf den Schlossteich.
Der Versand des Königsberger Marzipans machte die Konditorei weltbekannt und gehört auch heute noch zu den großen Markennamen, wie Lübecker Marzipan, Aachener Printen oder dem Dresdner Christstollen.
Doch auch die Jahre des zweiten Weltkriegs sollten an Schwermer nicht spurlos vorbeigehen. In den ersten Jahren schien Königsberg noch wie eine Insel des Friedens mitten im Weltkrieg – der Krieg war weit weg. Das einzige, was die Bevölkerung daran erinnerte dass Krieg war, waren die grauen Soldatenröcke die zu einem alltäglichen Anblick wurden. Auch Heimkehrer und Soldaten auf Fronturlaub prägten zunehmend das Bild.
Meistens war das Verhältnis zu den Urlaubern angespannt; die Heimkehrer wussten, was an der Front vor sich ging und vielen war bewusst, dass dieser Krieg von deutscher Seite gegen jede Kriegsordnung verstieß.
So beichtete ein Polizist, der auch Mitglied eines Artillerieregiments der SS war und an der Ostfront kämpfte, dem letzten Pfarrer von Königsberg Hugo Linck wahrhaft Grausiges. Der Polizist beichtete Linck, dass er an der Ostfront in Polen den Befehl erhalten hätte wehrlose Juden zu erschießen. Ihm wurde zwar ein strengstes Redeverbot über die Vorgänge an der Front erteilt, doch drückte ihn sein Gewissen offenbar zu stark.
Die Soldaten, die auf Urlaub waren, wirkten verschlossen und ein Keil des Schweigens und der Entfremdung ging durch ganze Familien und Freundeskreise; die Heimkehrer hatten Schreckliches gesehen und durften mit niemanden darüber sprechen.
Da konnte selbst ein Stück Torte und ein Marzipanhappen von Schwermer wenig ausrichten. Der Krieg war in den Köpfen der Menschen und die idyllische Atmosphäre um den Schlossteich konnte darüber nicht hinwegtäuschen. Vielleicht half sie ein Stück weit die schreckliche Realität zu verdrängen, doch sollte spätestens im August 1944 die Illusion von der Realität eingeholt werden.
Zuvor gab es aber Lebensmittelengpässe und ein Stück Torte von Schwermer wurde nur noch auf Marken ausgegeben. Auch der gute Kaffee wurde durch Ersatzstoffe abgelöst und ein richtiger Tee gegen ein „Heißgetränk“ eingetauscht. Der Mangel machte sich auch in der schönen heilen Cafewelt bemerkbar. Wie viele andere hatte die Familie Schwermer, bzw. seit Charlotte geheiratet hatte die Familie Stiel, Freunde auf dem Land die dazu beitrugen den Speiseplan zu bereichern.
Doch im Jahr 1944 und der Schlacht um Königsberg im Folgejahr sollte auch das Cafehaus am Schloss nicht überstehen. Noch vor der berühmten Schlacht gelang es Charlotte und ihrer Tochter am 25.1.1945 von Pillau aus eines der letzten Schiffe nach Westen zu nehmen.
Noch im selben Jahr landeten Charlotte und ihre Tochter Lieselotte in Bad-Wörishofen.
Dort hatten sie Freunde, die sie noch von einem vergangenen Kuraufenthalt aus dem Jahr 1938 kannten. Die damalige Hoffnung sie noch einmal zu besuchen zerschlug sich als der Krieg begann, sogar einen Tennisschläger soll Charlotte dort stehen gelassen haben. Eine ehemalige in der Kneippstadt lebende Buchhalterin der Firma Schwermer gab schließlich den Ausschlag dazu, dass die Familie sich dort ansiedelte.
Zuerst versuchten Mutter und Tochter selbstgemachte Puppen zu verkaufen, um ihren Lebensunterhalt zu sichern. Zu Hilfe kam ihr Sohn und Bruder Dietrich, der aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft entlassen wurde; er sollte die von Mutter und Tochter gefertigten Puppen verkaufen.
Doch waren die Erfolge aus Königsberg nicht vergessen, ebensowenig wie das Rezept für das berühmte Königsberger Marzipan von Charlottes Vater und so stellte ein früherer Lübecker Fabrikant der Familie im Jahr 1949, pünktlich zur Währungsreform, eine nicht unerhebliche Kilozahl an Marzipanrohmasse auf Kredit zur Verfügung. Ebenso wurde die Familie von Freunden finanziell gestützt.
Unter beschränkten räumlichen Bedingungen und unter Rohstoffmangel wurden die ersten Königsberger Marzipanhappen nach dem Untergang Königsbergs in Westdeutschland hergestellt.
Den ersten Kundenkreis stellten ehemalige Königsberger dar, als es dann hieß, dass Schwermer in Bad Wörishofen wieder produzierten erweiterte sich der Kundenstamm um ein Vielfaches.
Dies ging sogar so schnell, dass die Familie bereits 1950 die Angebotspalette um Schokolade erweitern konnte und im Jahr 1954 wurde in Bad Wörishofen dann ein neues Cafe eröffnet.
Die Angebotspalette wuchs stetig. Charlotte Stiel, geborene Schwermer aus Königsberg i. Pr. hatte es geschafft das Traditionsunternehmen nach Westdeutschland rüber zu retten und sich eine neue Existenz aufzubauen.
Als ein besonderes Zeichen der Versöhnung könnte man die Anwesenheit Königsberger Pralines im Weltall auf dem russischen Raumschiff ‘Mir’ (was sowohl Frieden und auch Welt bedeutet auf Russisch) im Jahr 1992 deuten. Ein Jahr nach dem Zerfall der Sowjetunion und der Öffnung der Gebietsgrenzen des ehemaligen Ostpreußens. Knappe 50 Jahre nach dem Verlust der Stadt Königsberg war es ehemaligen Bürgern wieder möglich in ihre Stadt zu reisen, die sich allerdings stark verändert präsentierte und heute Kaliningrad heißt.
Quellen:
o.A. in Schwermer(Hrsg.). Schwermer-Geschichte „Eine Liebeserklärung an Ostpreußen“ (Werbematerial) sowie auf [www.schwermer.de]
Sattler, G.O.E (1997). Köstlichkeiten und Besonderheiten aus Ost,- und Westpreußen.(1.Auflage) Husum:Husum Druck
o.A. Marzipan. auf [https://www.bdsi.de/warenkunde/bonbons-und-zuckerwaren/marzipan/]