Bernstein an der Nordseeküste?
Ein schöner warmer Sommertag in Büsum; an der Nordseeküste branden sanft die Wellen und die Möwen kreisen an einem hellblauen Himmel. Doch was hat das kleine Nordseeheilbad Büsum mit dem ehemaligen Ostpreußen zu tun? Und warum findet sich gerade hier eine kleine Werkstatt, in der Bernstein, das eigentliche ‚Gold der Ostsee‘, geschliffen und bearbeitet werden kann?
In der Bernsteinschleiferei
Wir klingeln an einer Tür, über welcher ‘Bernsteinschleiferei’ geschrieben steht. Ein netter Mann mit Brille, der sich als Herr Wöhlert vorstellt, öffnet uns die Tür und bittet uns in seinen gemütlichen Laden hinein. Vor dem Fenster, durch das sanft das Licht hereinfällt, steht eine Seemannskulptur um deren Hals Lederbänder hängen. Nach dem Schleifen eines Bernsteins kann ein Lederband ausgesucht werden, das an den geschliffenen Stein angebracht wird. Auf einem Tisch stehen zwei kleine Schleifmaschinen. Sie bestehen hauptsächlich aus runden Scheiben, an denen feinkörniges Schleifpapier angebracht ist. Sobald die Maschine angeschaltet wird, fängt sich die Scheibe zu drehen an. Ein Wasserstrahl befeuchtet die Drehscheibe und sorgt dafür, dass der abgeschliffene Bernsteinstaub nicht in die Luft gelangt.
Auf einer kleinen eichernen Anreiche liegen naturbelassene Bernsteinstücke, die man sich aussuchen kann. Nur die an den Wänden hängenden, glatt geschliffenen Steine lassen die wahre Schönheit der rauen Natursteine vermuten. Sie schillern in bunten Farben. Dabei reichen die Farbnuancen von tiefem Rot, über goldenes Gelb bis hin zu einem ungewöhnlich grünlichem Farbton, der an Moos erinnert.
Der Schleifprozess
Jeder von uns wählt zwei Steine aus: Ich, Lars, einen länglichen honigfarbenen und einen rundlichen transparenten, durch den das Licht wie durch Akazienhonig fällt. Amalia wählt einen kleinen dreieckigen und einen tränenförmigen länglichen Bernstein aus. Wir setzen uns an die Schleifmaschinen. Uns wird ein Handtuch gereicht, was wir auf die Beine legen, denn bei der nassschleifenden Maschine kann schon mal was daneben gehen. Die Schalter befinden sich an der linken Seite – einer für Wasser, der andere um die Schleifscheibe in Gang zu setzen.
Wir schalten die Maschinen ein und halten den Bernstein vorsichtig an die Scheibe. Ein ganz kleines bisschen Material wird abgeschliffen. Wie will ich nun meinen länglichen Bernstein in Form bringen, frage ich mich. Da kommt mir eine Idee; ich versuche eine leichte Kristallform herauszuarbeiten; dh. dass ich eine glatte Seite oben und zwei abfallende Seiten von der oberen abgehend einschleife; so habe ich eine leichte Kristalloptik. An meine Nase dringt ein leichter Geruch von angesengtem Bernstein.
Nun habe ich die gewünschte Form herausgearbeitet. Etwa fünf Minuten später gefällt mir diese Idee nicht mehr, denn das Resultat sieht nicht so schön aus, wie erwartet. Ich schleife diese harten Kanten doch weich und belasse es dabei. Dazu führe ich den Stein in kreisenden Bewegungen über die sich drehende Schleifscheibe. Den zweiten Bernstein möchte ich nur rund bekommen. Diese Form war schon im Naturstein vorgegeben und ich muss diese nur noch herausarbeiten. Ein paar Minuten später ist der Stein fertig und beide Steine können poliert werden. Dazu bestreicht der nette Herr Wöhlert eine andere Maschine mit einer Schleifpaste. Innerhalb weniger Minuten wird der Stein, der vorher eher trüb aussah zu einem glatt polierten und prächtigen Anhänger. Amalias Anhänger haben eine beinahe tränenförmige, konisch zulaufende Gestalt angenommen. Das Schleifen hat die feuerrote Färbung des kleineren Steins zum Vorschein gebracht, der größere ist goldgelb mit kleineren Einschlüssen.
Der Bernstein und seine Vorgeschichte
Doch spätestens jetzt wird sicherlich die Frage aufgekommen sein was Bernstein mit der Nordsee zu tun hat.
Beinahe 95 % des Bernsteinvorkommens wird im alten Palmnicken (heute russisch Jantarnyj) abgebaut, übrigens im weltweit einzigen Bernsteintagebau. Dieses Gestein kommt normalerweise in der Ostsee vor und kann nach Sturmfluten am Strand gefunden werden, darum nannte man Ostpreußen auch Bernsteinland. Der heutige Name Jantarnyj leitet sich im Übrigen vom russischen Wort für Bernstein ab. Es handelt sich hierbei um versteinertes Baumharz, was Millionen von Jahre alt und fossiliert ist. Teilweise kann man wunderschöne Intarsien bewundern: Fliegen, Mücken, Ameisen und andere kleinere Lebewesen sind zu ihren Lebzeiten im zähflüssigen und klebrigen Harz stecken geblieben, das sie umschloss und so für weitere Tausende von Jahren konservierte. Darum ist es kein Wunder, dass sich Bernstein bis heute des Rufes als begehrter Schmuckstein erfreut.
In der Antike schon handelten die Pruzzen mit Bernstein. Bereits das römische Imperium wusste den Bernstein als Schmuck zu schätzen, darum gab es seit der Antike einen Handelsweg, der sich Bernsteinstraße nannte und in das Gebiet des alten Ostpreußens führte. Aber der Bernstein ist, wie erwähnt, viele Millionen Jahre älter als das alte Ostpreußen, was in Anbetracht des Alters der Welt mit seinen knappen 750 Jahren bloß ein Wimpernschlag in der Geschichte unseres Planeten ist. Doch dies schmälert seine Bedeutung für die Heutigen kaum. Auch gibt es im Ostpreußischen Landesmuseum in Lüneburg ein schönes Bild zu bewundern, das einen Bernsteinfischer bei seiner Arbeit zeigt. Tatsächlich stehen solche Fischer auch heute noch stundenlang in Gummistiefeln im Ostseewasser und fischen sich das begehrte fossile Harz aus der See.
Das ‘Gold der Ostsee’ in der Nordsee?
Wie nun kam der Bernstein an die Nordsee? Denn in der Büsumer Bernsteinschleiferei kann man als Nordseebernstein ausgezeichneten Bernstein erwerben. Auf diese Frage wusste der Inhaber Herr Wöhlert zu berichten, dass durch das Abschmelzen der Gletscher in der letzten Eiszeit ein Anteil des Bernsteins von der heutigen Ostsee in die Nordsee geschwemmt wurde. Somit ist also die Bezeichnung ‚Nordseebernstein‘ keinesfalls ein bloßer Verkaufstrick, sondern erdhistorisch begründet. Auch wusste Herr Wöhlert zu berichten, dass auch die in Büsum lebenden Fischer von Zeit zu Zeit zusätzlich Bernstein als Beifang in ihrem Netz haben.
Die Familie deren Ferienwohnung wir bewohnen ist zufälligerweise eine solche Fischereifamilie. Darum fragte ich direkt bei den Herrschaften nach, ob der Käpt´n, ein in Büsum bekannter Krabbenfischer, denn schon mal einen Bernsteinbeifang gehabt hätte. Der Käpt´n verschwand kurz im Haus und kam mit einem ganzen Gefrierbeutel voll mit Bernstein wieder zurück. Eine eindrückliche Antwort, zumal in dem Beifang auch Bernsteinklumpen drin sind, die beinahe Kindsfaustgröße erreichen. Bedenkt man, dass ein Bernstein in der Schleiferei mit 2 Euro pro Gramm berechnet wird, dann käme bei einem 100 Gramm Stück schon einiges zusammen – von dem unbezahlbaren ästhetischen Wert einmal ganz abgesehen.
Der Bernstein in der Weltgeschichte
Der unglaubliche ästhetische Wert dürfte dann auch den ersten Preußenkönig Friedrich I dazu inspiriert haben Andreas Schlüter mit der Anfertigung des Bernsteinzimmers für das Berliner Stadtschloss zu beauftragen. Vom Soldatenkönig an Zar Peter den Großen verschenkt, gelangte dieses Schmuckstück der Inneneinrichtung nach Russland, wo es in den 1940er Jahren zur Nazikriegsbeute wurde und daraufhin 1942 im Königsberger Schloss ausgestellt war. Nach der Bombardierung und dem Sturm auf Königsberg war es dennoch unauffindbar. Hatten die Nazis es weggeschafft und irgendwo vergraben? Oder befand es sich gar noch im Schloss als die Bomben auf Königsberg fielen? Die Suche nach dem Bernsteinzimmer hält bis heute an. Dieses ‚achte Weltwunder‘ hat bis zum heutigen Tage nichts von seiner Faszinationskraft eingebüßt. Seit 2003 befindet sich im Katharinenpalast, der sich in der kleinen russischen Stadt Puschkin (ehemals Zarskoe Selo) befindet, eine originalgetreue Nachbildung des Bernsteinzimmers.
Wie dem auch sei, uns hat die Bernsteinschleiferei sehr gut gefallen. Unsere Bernsteine haben eine schöne Form gekriegt und werden nun, nachdem Herr Wöhlert uns Löcher zum Aufhängen in die Steine gebohrt hat, selbst getragen oder verschenkt.
Dies war eine Erfahrung, die alle Sinne angesprochen hat. Das Handwerkliche macht selbst Erwachsenen noch unglaublichen Spaß. Das kann man auch daran sehen, dass die Eltern der Kinder, die nach uns gekommen waren, ebenfalls einen Stein geschliffen haben. Der Geruch des geschliffenen Bernsteins und die Arbeit mit dem schönen Material runden diese tolle Erfahrung ab.
Links zum Bernsteinschleifer und dem Onlineshop:
Link zum Ostpreußischen Landesmuseum in Lüneburg:
Autoren: Lars Fernkorn und Amalia Kirikova