Balga – abgerissen und vergessen
Zwischen der russischen Kleinstadt Mamonowo (dt. Heiligenbeil) und der verschlafenen Siedlung Pjatidoroschnoje (dt. Bladiau) führt an die Steilküste des Frischen Haffs ein verborgener Weg. Unter ausladenden Ästen geht es über tiefe Schlaglöcher und Pfützen immer weiter hinein ins dichte Waldgestrüpp. Dort, auf einer Anhöhe, umgeben vom schattigen Grün, stehen Ruinen einer längst dem Verfall überlassenen Burg, die auf eine lange Geschichte zurückblicken kann. Unter der Herrschaft des Deutschen Ordens zählte Balga einst zu den stärksten Burganlagen des Landes.
Der erste Eindruck
Der Wind rauscht in den dichten Kronen der hohen Bäume, irgendwo im Hintergrund ist das Tosen der Wellen zu vernehmen, die fortwährend gegen die sandfarbene Steilküste branden. Durch das Grün der Blätter schimmert das gedämpfte Rot eines verlassenen Backsteinbaus. Es sind die Ruinen des ehemaligen Beamtenhauses, das sich damals in der Vorburg von Balga befunden haben muss. Es wurde vermutlich um 1300 errichtet und gehört somit zu den ältesten erhaltenen Teilen der Burganlage.
Vom Backsteinbau mit seinem langgezogenen, rechteckigen Grundriss sind nur drei tragende Mauern über geblieben – eine Wand und das Dach fehlen komplett. Wagt man sich nun zwischen die hohen, mit Moos und Gräsern bewachsenen Mauern, eröffnet sich ein Blick in die Vergangenheit des Bauwerks. An den Innenwänden, in die dreieckige Wandarkaden eingelassen sind, lässt sich ablesen, dass sich im Gebäude mindestens drei Geschosse (und ein Dachboden) befunden haben muss. Seine Überreste lassen die ausladenden Maßstäbe der ehemaligen Burg bestenfalls erahnen.
Die Geschichte der Burg Balga
Das älteste Bauwerk, das an dieser Stelle nachgewiesen wurde, ist eine befestigte Holz-Erdanlage der Pruzzen. Nach der Eroberung durch den Deutschen Orden, der seit 1231 immer weiter in die östlichen Gebiete vordrang, wird Balga im Jahr 1239 auf den Überresten der pruzzischen Befestigungsanlage gegründet. Der Markgraf Heinrich von Meißen, der bei früheren Versuchen die pruzzischen Festung gescheitert war, stellt für den Bau der neuen Anlage zwei Schiffe zur Verfügung.
Zwischen 1250 und 1290 wird die vorläufig aus Holz konstruierte Befestigungsanlage in Stein ausgebaut und verstärkt. Darauf folgte etwa zeitgleich der Ausbau der Burgen Brandenburg und Lochstädt. Aufgrund des ähnlichen Grundrisses kann angenommen werden, dass bei dem Ausbau der drei Burgen derselbe Baumeister und dieselbe Bauhütte am Werk waren. Beim Ausbau Balgas versuchte man anscheinend sich zunächst regionalen Naturstein zu verwenden. Allerdings ist man schon früh auf Backstein als Baumaterial umgestiegen, was an den in der Region rar gesäten Natursteinvorkommen gelegen mag. So bestanden den Quellen zufolge die Gewölbeanfänger aus Kalkstein, an die sich Pfeiler aus gebranntem Ton angeschlossen haben sollten.
Der Aufbau der Burganlage
Das Herzstück Balgas war die Kernburg. Die Vorburg, die wohl nach Anfang des 14. Jahrhunderts errichtet worden war, war kreisförmig um die Kernburg herum angeordnet.
Der Grundriss der Kernburg war unregelmäßig sechseckig, was an den unter der Burg liegenden Fundamenten der zerstörten pruzzischen Befestigung gelegen haben soll. Diese pruzzische Feste gab der neuen Anlage ihre ungewöhnliche Form vor. Die Kernburg setzte sich aus drei Flügeln zusammen, die ineinander in einem stumpfen Winkel übergingen und so den Innenhof umschlossen. Unter den Flügeln führte ein zum Hof hin offener Laubengang hindurch, der von massiven Pfeilern getragen wurde. Im Nordwesten, zum Haff hin, schloss sich an die Flügel eine Wehrmauer an, die später umgebaut und zu einem weiteren, zweistöckigen Flügel erweitert wurde. An dieser Seite befand sich auch das Haupttor. Zum Wasser hin befand sich eine außen an der Wehrmauer angebrachte Toilettenanlage, der sogenannte Dansker.
Am ältesten ist der Südflügel. Darin soll sich im Hauptgeschoss eine Kapelle befunden haben, die, wie Funde bezeugen, sehr aufwendig gestaltet gewesen sein soll. Im nordöstlichen Flügel war der Kapitelsaal gelegen, in dem die Ordensmitglieder zu verschiedensten Zwecken zusammenkommen konnten. Im Südosten des Haupthauses befand sich der Remter – der Speise- und Versammlungssaal der Burg. Die Keller des Haupthauses waren zweischiffig, mit Gewölben, die auf Granitpfeilern ruhten.
Verwendete Literatur
Herrmann, C., Burgen im Ordensland. Deutschordens- und Bischofsburgen in Ost- und Westpreußen. Ein Reisehandbuch, Würzburg 2006.
Herrmann, C., Burgen im Ordensland Preußen. Handbuch zu den Deutschordens- und Bischofsburgen in Ost- und Westpreußen, Petersberg 2015.
Herrmann, C., Die mittelalterliche Architektur im Gebiet der ehemaligen preussischen Bistümer (Kulm, Pomesanien, Ermland, Samland). Analyseteil, Allenstein/Olsztyn 2003.
Wünsch, Carl, Ostpreussen, München 1960.
Borchert, F., Burgen Städte Deutsches Land, Essen 1991.
Antoni, Michael (Hrsg.) Dehio-Handbuch Der Kunstdenkmäler West- Und Ostpreußen: Die Ehemaligen Provinzen West- Und Ostpreußen (Deutschordensland Preußen) Mit Bütower Und Lauenburger Land, München [u.a.]: Dt. Kunstverl, 1993.
Hinweise zu den Abbildungen:
Abb. 1: © Lars Fernkorn, 2019
Abb. 2: gemeinfrei (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Balga.jpg)
Abb. 3: gemeinfrei (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Balga_Kobbe-Cornelius_Wanderungen_1842.jpg)
Fotos: © Lars Fernkorn, 2019