Der Wurstumzug zu Königsberg
An dem Ort, an dem sich die drei Städte Löbenicht, Kneiphof und Altstadt später zu Königsberg vereinen sollten, gab es im Spätmittelalter eine vergnügliche Tradition. Der sogenannte ‘Wurstumzug’ fand für gewöhnlich an Neujahr statt und sorgte bei den Menschen für eine ausgelassene Festtagsstimmung.
Es ist Neujahr. Die Königsberger Bürger gucken gespannt aus ihren Häusern oder säumen die Straße. Die Bäume sind entlaubt und zeichnen sich schwarz gegen den hellen Neujahrshimmel ab. Der Winter in Ostpreußen kann extrem kalt werden; stark eingeschneite Straßen sind keine Seltenheit. Der Wind weht leicht durch die mittelalterlichen Gassen und trägt Festtagsmusik zu den Ohren der Königsberger Bürger, gleich wird er kommen: der große und langersehnte Umzug. Es ist ein Spektakel, das es nicht zu jedem Neujahrstag gab, so ist einer für 1520 und dann erst für 1525, sowie 1535 vermerkt. Weitere fünf Male ist dieser Umzug in den Folgejahren gesichert überliefert, man geht allerdings davon aus, dass dieser Umzug mehrfach stattfand.
Dem Zug voran schritt ein mit Federn und bunten Bändern dekorierter Fahnenträger, der eine weiß-grüne Flagge trug. Dahinter schritten nicht weniger als 103 Fleischergesellen und trugen im Jahr 1601 eine beinahe 392 Meter lange Wurst durch die engen mittelalterlichen Gassen Königsbergs, vorbei an den schmucken Fachwerkhäusern und den reichen Bürgerhäusern der Altstädtischen Langgasse mit ihren Beischlägen.
Die Königsberger sind wörtlich aus dem Häuschen und hoffen am Ende der Prozession auch ein Stück dieser Riesenwurst abzubekommen.
Der Fleischergeselle zuvorderst (er folgte dem fröhlichen Fahnenträger) hatte sich das vordere Wurststende um den Hals und den Leib geschlungen, während die folgenden Gesellen die Wurst über die Schulter trugen. In regelmäßigen Abständen zueinander prozessierten sie durch Königsberg, erboten den Herren im Schloss ihren Tribut und zogen weiter durch die drei Städte, die sich zu Königsberg vereinen sollten; sie zogen über Kneiphof nach Altstadt und von dort in den Löbenicht.
Im Löbenicht verzehrte die dortige Bevölkerung mit Freibier aus den Löbenichter Brauereien dann den noch verbliebenen Teil der Wurst, es mußte einen wahren Volksfestcharakter gehabt haben. Musik, Tanz und ausgelassene Gelage waren keine Seltenheit. Man lachte, schwatzte und schmatzte und ließ sich die Wurst und das gute Bier schmecken.
Für das Jahr 1525 ist eine 114,3 Meter lange Wurst bezeugt, mit den Jahren steigerte sich die Länge der Wurst immer mehr; 1535 war sie bereits 232 Meter und 1596 knappe 681 Meter lang.
Als Dank buken die Bäcker für den folgenden Dreikönigstag eine riesige Stritzel (einen Christstollen); für 1601 sollen acht Stritzeln zu jeweils sechs Metern Länge nachgewiesen sein.
Diese wurden ebenso wie die Wurst durch die Stadt getragen und genau wie die Wurst, wurde ein Teil als Erweisung des Respekts den Herren im Schloss, sowie den drei Bürgermeistern, den drei Stadtpfarrern und den Schöppen abgegeben.
Einen ähnlichen Brauch kann man heute noch in Dresden zum Stritzelmarkt beobachten; auch hier wird ein riesiger Christstollen auf einem Prozessionswagen über den Markt gezogen und für ein kleines Entgelt ist es möglich ein Stück Stollen zu erstehen.
Tatsächlich lebt der Brauch der langen Königsberger Wurst wieder auf; 2013 initiierte das Meeresmuseum eine Wiederbelebung des Brauches und band auch ortsansässige Metzgereien und Fleischereien mit ein. So wurde im Jahr 2020 eine drei Meter und 100kg schwere Wurst von Kaliningrader Fleischermeistern durch die Stadt getragen. Die Prozession startete am Friedrichsburger Tor unter Kanonensalven; 6 Fleischergesellen trugen die Wurst durch die Stadt und wie damals gab es Shows, Spiele und Vorführungen zu sehen.
Der Brauch lebt weiter.
Quellen:
Mühlpfordt, H.M. (1983). Der Königsberger Wurstumzug .in: Landsmannschaft Ostpreußen (Hrsg.) Königsberger Leben in Bräuchen und Volkstum, Hamburg
1966_12_31_53_Ostpreußenblatt
o.A. (März 2020) Es ging wieder um die Wurst. in: Königsberger Express Nr.3 /2020. Kaliningrad: Rautenberg Media&Printverlag Troisdorf, S. 1,2 & 7 [ebf.abrufbar unter: https://koenigsberger-express.com/2020/03/es-ging-wieder-um-die-wurst/]